1938 - 2017
Konfessionsfreier Seelsorger, ehemaliger Benediktinermönch (1959-2015) und Priester
Entschiedenheit
email an Bruder Ansgar vom 7.06.2015
Lieber Ansgar,
seit Jahren ist mein Verhältnis zu Dir von dem Satz geprägt, den Du im Konflikt mit und um Bruder XX und YY bei einem Gespräch unter vier Augen mir gegenüber aussprachst: „Für mich ist St. Matthias gestorben.“ Ich habe mich immer wieder gefragt seitdem, ob denn vielleicht St. Matthias für Dich wieder zum Leben erwacht sei. Ich glaube freilich nicht, dass Zeichen dafür erkennbar geworden sind.
St. Matthias ist nicht auf einmal gestorben. Der Prozess des Absterbens nach dem dynamischen Aufbruch um 1970 herum hat in meinen Augen seine Grund darin, dass ihm keine weiteren, entsprechenden Aufbrüche gefolgt sind. So erwuchs aus einem Neuanfang in Freude ein Weg, der geprägt war vom Bemühen um Wahrung und Optimierung des Bestehenden. Unter der Decke des optimierten (und von den Präsides der Kongregation von Visitation zu Visitation hochgelobten) Bestandes wucherten ungesteuert die faulen Kompromisse. Der Weg von Bruder Bernhard in dieser Gemeinschaft verdankt sich ihrer Unfähigkeit, ihre Lebenswirklichkeit aus der Dynamik der geistlichen Entschiedenheit heraus zu klären.
Meine eigene Unentschiedenheit auf dem Weg der Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit lag Dir offen vor Augen. Ich habe Dir meine Angst offenbart, mich eindeutig zwischen Ehe und Ehelosigkeit, Enthaltsamkeit oder Nähe und Intimität zu einer Frau zu entscheiden und die Konsequenzen zu ziehen. In dieser Unentschiedenheit habe ich bis vor wenigen Wochen gelebt. Mit den gleichen Gründen, wie ich sie Dir damals darlegte.
Die gegenwärtigen Einbrüche in das Leben der Gemeinschaft haben in mir den Prozess ausgelöst, der mich dahin bringt, dass ich nicht länger in dieser Unentschiedenheit – und nicht länger in einer darauf beruhenden kommunitären Verbundenheit leben kann und will.
Für mich reichen die inneren Widersprüche und Unwahrheiten meines Lebens im Mönchtum bis in die Zeit meines Eintritts in St. Matthias zurück. Zu einer authentischen Entscheidung für einen Weg in der Ehelosigkeit war ich damals überhaupt nicht fähig. Ich habe Vater und Mutter durch diesen Schritt nicht verlassen, sondern die Bindung an sie auf Gemeinschaft und Abt übertragen. Weder zur Bindung an einen Weg in Ehelosigkeit noch zu einer ehelichen Partnerschaft war ich imstande. In den vergangen Wochen sind mir die unbearbeiteten Belastungen, denen ich mit meinem familiären Hintergrund unterlag, deutlich geworden. Ich sehe in mir die Möglichkeit, den Schritt in eine authentische Entschiedenheit zu tun.
Für mich heißt dies, dass die in St. Matthias abgelegte Profess mich nicht bindet und mein Weg in St. Matthias an dieser Stelle beendet ist. Abt Ignatius habe ich es mitgeteilt, Dir teile ich es hiermit als Bruder, als mein früherer Abt, aber auch in Deiner jetzigen Verantwortung als Abt Präses der Kongregation mit. Ich bitte, mit Abt Ignatius die Schritte zu klären, die dieser Gegebenheit entsprechen.
Johannes