Krebs
Verankerung in der Wirklichkeit
Nachtgedanken - 24 Juli 2016 1:22
Ich weiß nicht, ob ich diesen Krebs überleben werde. Ich habe keine Schmerzen - das scheint bei Lungenkrebs normal -, aber die Bronchien werden von den Metastasen eingedrückt und reagieren darauf mit einem trockenen Hustenreiz. Die Hustenanfälle werden bei jeder Form von seelischem Stress ausgelöst. Ich bin ständig damit beschäftigt, sie zu vermeiden oder ihnen gegenzusteuern, indem ich mich körperlich und seelisch darauf fokussiere.
Die Frage, was dieser Krebs mit mir machen wird - ist er die Piste, die mich in kürzerer Zeit aus dieser Welt hinausführt, oder lässt er mir vor meinem Abschied noch eine Perspektive in dieser Welt offen? -, ich kann sie nicht beantworten. Sie bedeutet aber, dass ich nicht in die Zukunft planen kann - ich weiß nicht, ob ich für das, was ich plane, zur Verfügung stehe.
Ich beginne mit dem Krebs, weil er, wie mir jetzt klar wird, meine Verankerung in der Wirklichkeit ist. Er holt mich heraus aus all den Identifikationen, Gedankengebäuden, Rollenmustern, durch die ich mich mein Leben lang mir selbst und meiner Wirklichkeit entfremdet habe. Da hat es eben nicht gereicht, dass ich - 55 Jahre nach der Ablegung meiner Ordensgelübde - diese Bindung aufgebrochen und alles verlassen habe, was mein ganzes Erwachsenenalter hindurch Gestalt, Inhalt und Sinn meines Lebens gewesen ist.